Warum Helmut Jordan nicht gendert

13 Mai 2025

Oder in der Lang­ver­sion: Warum „Hexen­schluck“ nicht „Jäger­meis­ter“ heißt und warum Hel­mut Jor­dan nicht gen­dert (zumin­dest nicht im Jahr 2019)

„Ver­schluckt“ ist mein 5. Krimi und zugleich mein vor­erst letz­tes Werk im Self­pu­bli­shing. Im Mit­tel­punkt steht ein welt­be­rühm­ter Kräu­ter­schnaps aus Wol­fen­büt­tel, den ich „Hexen­schluck“ genannt habe. Natür­lich wis­sen alle, dass „Jäger­meis­ter“ gemeint ist.

Jägermeister sagt nein

Ich hatte in der Wol­fen­büt­te­ler Zen­trale nach­ge­fragt, ob ich den Namen ver­wen­den darf – und mir davon eine Menge Publi­city und im bes­ten Fall ein wenig Unter­stüt­zung ver­spro­chen. Ich durfte lei­der nicht. Den Jäger­meis­tern war die Story zu kitz­lig, da es unter ande­rem um mani­pu­lierte Fla­schen geht und ein Mit­ar­bei­ter des Unter­neh­mens umge­bracht wird. Schade, schade, aber nach­voll­zieh­bar. Image ist alles.

Als das Buch erschien, brach prak­tisch zeit­gleich Corona aus und alle mög­li­chen Aktio­nen rund ums Buch, Lesun­gen vor allem, fie­len ersatz­los aus. Wirk­lich ärger­lich, denn „Ver­schluckt“ ist ein sehr schö­ner klas­si­scher Krimi mit hand­fes­ter Ermitt­lungs­ar­beit, mit einer mie­sen Intrige und vie­len schö­nen Wen­dun­gen.

Helmut Jordan gendert nicht

Als ich das Buch 2018/​2019 schrieb, war das Thema „Gen­dern“ längst nicht so groß wie ein paar Jahre spä­ter. Den­noch habe ich mei­nen bei­den Prot­ago­nis­ten, Lisa Bert­ram (34) und Hel­mut Jor­dan (60), einen Dia­log dazu in den Mund gelegt, der sechs Jahre danach gar nicht so übel von ges­tern klingt:

Hel­mut und Lisa saßen mitt­ler­weile im Auto, als Lisa wei­ter­sprach. »Wir sind übri­gens nicht die Ein­zi­gen, die sich über Eva Laza­rus auf­re­gen. Vor ein paar Tagen habe ich die Mit­tags­pause mit ein paar Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von der Pres­se­stelle der Direk­tion ver­bracht. Die waren zu Anfang begeis­tert von ihr, weil Laza­rus so modern rüber­kam und ganz auf Pres­se­ar­beit und die sozia­len Medien setzt. Die fühl­ten sich so rich­tig wert­ge­schätzt. Doch jetzt ras­ten sie regel­recht aus, denn Laza­rus führt in der kom­plet­ten Kom­mu­ni­ka­tion gen­der­ge­rechte Spra­che ein. Die Pres­se­leute müs­sen bald in jeder Mit­tei­lung, in jedem Tweet oder Post die Stern­chen benut­zen. Die has­sen das total. Ich dachte, die Leute wären irgend­wie zeit­ge­mä­ßer drauf.«

»Welche Sternchen?«

»Wel­che Stern­chen?« Hel­mut ver­stand nur Bahn­hof.

»Na, die Gen­der­stern­chen. Bür­ger-Stern­chen-innen, Zeug-Stern­chen-innen, Täter-Stern­chen-innen und so wei­ter.«

»Das klingt blöd«, fand Hel­mut.

»Man spricht die Sterne natür­lich nicht mit. Es heißt dann ›Bür­ger‹, kurze Pause, ›innen‹.«

»Warum nicht Bür­ge­rin­nen und Bür­ger?«

»Weil sonst das dritte Geschlecht fehlt: divers.«

»Es gibt ein drit­tes Geschlecht?«

»Ach, Hel­mut. Manch­mal wäre ich gern so alt wie du. Dann spie­len sol­che Pro­bleme offen­bar ein­fach keine Rolle. Ein Teil der Gesell­schaft schlägt sich gleich­wohl damit herum und ver­sucht zu ver­hin­dern, dass sich Men­schen, die kei­nem bestimm­ten Geschlecht ange­hö­ren oder ange­hö­ren möch­ten, dis­kri­mi­niert füh­len. Und um sie, also soge­nannte nicht-binäre Men­schen, auch sprach­lich ein­zu­be­zie­hen, schreibt man die Gen­der­stern­chen. Wahl­weise auch den Gen­der-Gap oder einen Dop­pel­punkt.«

»Dop­pel­punkt? Der erfüllt doch einen ganz ande­ren Zweck beim Schrei­ben, oder?«

»Stimmt. Aber den erfüllt so ein Stern­chen auch.«

Hel­mut zögerte. Er hätte Lisa gern nach die­sem Gen­der-Gap gefragt. Doch einer­seits prahlte man bes­ser nicht so sehr mit sei­nem Unwis­sen. Ande­rer­seits brannte ihm eine andere Frage wesent­lich hei­ßer unter den Nägeln. »Wie ver­hält es sich denn mit Men­schen, die nicht lesen kön­nen? Für die ist es doch voll­kom­men egal, ob da ein Stern­chen steht. Sie blei­ben trotz­dem aus­ge­schlos­sen. Dis­kri­mi­niert. Und es leben doch zahl­rei­che Analpha­be­ten in Deutsch­land. Viele Mil­lio­nen, oder? Bestimmt mehr als sol­che Men­schen, die kei­nem der bei­den Geschlech­ter ange­hö­ren möch­ten.«

»Falsche Frage!«

»Fal­sche Frage!« Lisa rieb sich das Kinn. »Analpha­be­tin­nen und Analpha­be­ten tau­chen in die­ser Debatte nicht auf. Genauso wenig Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger, die kein Deutsch ver­ste­hen. Oder sol­che, deren Seh­fä­hig­keit beein­träch­tigt ist. Hier geht es um gen­der­ge­rechte Spra­che und nur darum. Das zu akzep­tie­ren fällt vie­len schwer, Dir schein­bar auch. Übri­gens leh­nen auch die Rechts­po­pu­lis­ten die Stern­chen ab, sehr vehe­ment und auf unters­tem Niveau, wie du dir vor­stel­len kannst. Als Stern­chen­geg­ner lan­dest du also häu­fig auto­ma­tisch im sel­ben Topf wie die Rech­ten. Pass also auf, wel­che Argu­mente du wann und wem gegen­über vor­bringst. Min­der­hei­ten gegen­ein­an­der aus­zu­spie­len, über­schrei­tet auf jeden Fall die rote Linie.«

»Okay, okay. Der Krieg der Stern­chen fin­det wei­ter­hin ohne mich statt.« Warum Lisa sich einer­seits für diese nicht-binä­ren Men­schen stark machte, ande­rer­seits von „Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen“ sprach, statt von „Kolleg*innen“, schien eine andere Geschichte zu sein. Über­haupt war Hel­mut kein biss­chen über­zeugt. Wenn am Ende alles bloß auf die Dro­hung hin­aus­lief, in die rechte Ecke gedrängt zu wer­den, schien es mit der Sub­stanz die­ser gen­der­ge­rech­ten Spra­che nicht gerade weit her zu sein.

Mit sei­ner ableh­nen­den Hal­tung bil­det Hel­mut im Übri­gen die Mehr­heit im deutsch­spra­chi­gen Raum ab, wie aktu­elle, reprä­sen­ta­tive Erhe­bun­gen aus Deutsch­land (Civey und Infas) und Öster­reich zei­gen. Los­ge­löst davon, also von Men­schen, die mehr­heit­lich Stern­chen & Co, ableh­nen und/​oder nicht ver­wen­den, gibt es einen recht aus­ge­wo­ge­nen Bei­trag bei MAITHINK X. Darin ana­ly­siert Mai Thi Nguyen-Kim aktu­elle wis­sen­schaft­li­che Stu­dien rund ums Gen­dern. Wer nach die­sem Bei­trag immer noch behaup­tet, dass irgend­wie erwie­sen sei, Gen­dern sei gerecht, fair, inklu­siv, sen­si­bel, dem ist nicht mehr zu hel­fen.

Mehr zu die­sem Buch und all mei­nen ande­ren Wer­ken wie üblich bei Meine Bücher.

Buchcover von Arne Dessauls Kriminalroman „verschluckt“