Oder in der Langversion: Warum „Hexenschluck“ nicht „Jägermeister“ heißt und warum Helmut Jordan nicht gendert (zumindest nicht im Jahr 2019)
„Verschluckt“ ist mein 5. Krimi und zugleich mein vorerst letztes Werk im Selfpublishing. Im Mittelpunkt steht ein weltberühmter Kräuterschnaps aus Wolfenbüttel, den ich „Hexenschluck“ genannt habe. Natürlich wissen alle, dass „Jägermeister“ gemeint ist.
Jägermeister sagt nein
Ich hatte in der Wolfenbütteler Zentrale nachgefragt, ob ich den Namen verwenden darf – und mir davon eine Menge Publicity und im besten Fall ein wenig Unterstützung versprochen. Ich durfte leider nicht. Den Jägermeistern war die Story zu kitzlig, da es unter anderem um manipulierte Flaschen geht und ein Mitarbeiter des Unternehmens umgebracht wird. Schade, schade, aber nachvollziehbar. Image ist alles.
Als das Buch erschien, brach praktisch zeitgleich Corona aus und alle möglichen Aktionen rund ums Buch, Lesungen vor allem, fielen ersatzlos aus. Wirklich ärgerlich, denn „Verschluckt“ ist ein sehr schöner klassischer Krimi mit handfester Ermittlungsarbeit, mit einer miesen Intrige und vielen schönen Wendungen.
Helmut Jordan gendert nicht
Als ich das Buch 2018/2019 schrieb, war das Thema „Gendern“ längst nicht so groß wie ein paar Jahre später. Dennoch habe ich meinen beiden Protagonisten, Lisa Bertram (34) und Helmut Jordan (60), einen Dialog dazu in den Mund gelegt, der sechs Jahre danach gar nicht so übel von gestern klingt:
Helmut und Lisa saßen mittlerweile im Auto, als Lisa weitersprach. »Wir sind übrigens nicht die Einzigen, die sich über Eva Lazarus aufregen. Vor ein paar Tagen habe ich die Mittagspause mit ein paar Kolleginnen und Kollegen von der Pressestelle der Direktion verbracht. Die waren zu Anfang begeistert von ihr, weil Lazarus so modern rüberkam und ganz auf Pressearbeit und die sozialen Medien setzt. Die fühlten sich so richtig wertgeschätzt. Doch jetzt rasten sie regelrecht aus, denn Lazarus führt in der kompletten Kommunikation gendergerechte Sprache ein. Die Presseleute müssen bald in jeder Mitteilung, in jedem Tweet oder Post die Sternchen benutzen. Die hassen das total. Ich dachte, die Leute wären irgendwie zeitgemäßer drauf.«
»Welche Sternchen?«
»Welche Sternchen?« Helmut verstand nur Bahnhof.
»Na, die Gendersternchen. Bürger-Sternchen-innen, Zeug-Sternchen-innen, Täter-Sternchen-innen und so weiter.«
»Das klingt blöd«, fand Helmut.
»Man spricht die Sterne natürlich nicht mit. Es heißt dann ›Bürger‹, kurze Pause, ›innen‹.«
»Warum nicht Bürgerinnen und Bürger?«
»Weil sonst das dritte Geschlecht fehlt: divers.«
»Es gibt ein drittes Geschlecht?«
»Ach, Helmut. Manchmal wäre ich gern so alt wie du. Dann spielen solche Probleme offenbar einfach keine Rolle. Ein Teil der Gesellschaft schlägt sich gleichwohl damit herum und versucht zu verhindern, dass sich Menschen, die keinem bestimmten Geschlecht angehören oder angehören möchten, diskriminiert fühlen. Und um sie, also sogenannte nicht-binäre Menschen, auch sprachlich einzubeziehen, schreibt man die Gendersternchen. Wahlweise auch den Gender-Gap oder einen Doppelpunkt.«
»Doppelpunkt? Der erfüllt doch einen ganz anderen Zweck beim Schreiben, oder?«
»Stimmt. Aber den erfüllt so ein Sternchen auch.«
Helmut zögerte. Er hätte Lisa gern nach diesem Gender-Gap gefragt. Doch einerseits prahlte man besser nicht so sehr mit seinem Unwissen. Andererseits brannte ihm eine andere Frage wesentlich heißer unter den Nägeln. »Wie verhält es sich denn mit Menschen, die nicht lesen können? Für die ist es doch vollkommen egal, ob da ein Sternchen steht. Sie bleiben trotzdem ausgeschlossen. Diskriminiert. Und es leben doch zahlreiche Analphabeten in Deutschland. Viele Millionen, oder? Bestimmt mehr als solche Menschen, die keinem der beiden Geschlechter angehören möchten.«
»Falsche Frage!«
»Falsche Frage!« Lisa rieb sich das Kinn. »Analphabetinnen und Analphabeten tauchen in dieser Debatte nicht auf. Genauso wenig Mitbürgerinnen und Mitbürger, die kein Deutsch verstehen. Oder solche, deren Sehfähigkeit beeinträchtigt ist. Hier geht es um gendergerechte Sprache und nur darum. Das zu akzeptieren fällt vielen schwer, Dir scheinbar auch. Übrigens lehnen auch die Rechtspopulisten die Sternchen ab, sehr vehement und auf unterstem Niveau, wie du dir vorstellen kannst. Als Sternchengegner landest du also häufig automatisch im selben Topf wie die Rechten. Pass also auf, welche Argumente du wann und wem gegenüber vorbringst. Minderheiten gegeneinander auszuspielen, überschreitet auf jeden Fall die rote Linie.«
»Okay, okay. Der Krieg der Sternchen findet weiterhin ohne mich statt.« Warum Lisa sich einerseits für diese nicht-binären Menschen stark machte, andererseits von „Kolleginnen und Kollegen“ sprach, statt von „Kolleg*innen“, schien eine andere Geschichte zu sein. Überhaupt war Helmut kein bisschen überzeugt. Wenn am Ende alles bloß auf die Drohung hinauslief, in die rechte Ecke gedrängt zu werden, schien es mit der Substanz dieser gendergerechten Sprache nicht gerade weit her zu sein.
Mit seiner ablehnenden Haltung bildet Helmut im Übrigen die Mehrheit im deutschsprachigen Raum ab, wie aktuelle, repräsentative Erhebungen aus Deutschland (Civey und Infas) und Österreich zeigen. Losgelöst davon, also von Menschen, die mehrheitlich Sternchen & Co, ablehnen und/oder nicht verwenden, gibt es einen recht ausgewogenen Beitrag bei MAITHINK X. Darin analysiert Mai Thi Nguyen-Kim aktuelle wissenschaftliche Studien rund ums Gendern. Wer nach diesem Beitrag immer noch behauptet, dass irgendwie erwiesen sei, Gendern sei gerecht, fair, inklusiv, sensibel, dem ist nicht mehr zu helfen.
Mehr zu diesem Buch und all meinen anderen Werken wie üblich bei Meine Bücher.
