Kürzlich stolperte ich mal wieder über so einen Fall: Das Lifestyle-Magazin Vogue lässt seine 25-jährige Volontärin erstmals „Pretty Woman“ gucken. Wenig überraschend findet die Volontärin heraus, dass Richard Gere schon irgendwie sexy ist und Julia Roberts auch ziemlich attraktiv. Der Rest jedoch: Puh, problematisch. Ein Mann kauft sich eine wesentlich jüngere Frau. Prostitution ist sehr beschönigend dargestellt. Plus viele weitere Klischees, in der Regel zulasten der Frauen.
Fand die Vogue etwa „Pretty Woman“ 1990 rundum gelungen?
Okay, ich kenne den Film nicht. Aber diese Punkte hätte ich auch schon 1990 fragwürdig gefunden. Keine Ahnung, warum dies Vogue erst 35 Jahre später und bloß mithilfe dieser Volontärin gelingt. Oder geht es Vogue nur darum, irgendetwas zum Thema „Schlecht gealtert“ beizutragen?
Das Label „Schlecht gealtert“ wird gern Büchern, Filmen, Serien oder Liedern angeheftet, wenn diese aus Sicht der Label-Anhefter beispielsweise überholte Geschlechterrollen transportieren oder wenn Minderheiten diskriminiert werden. Schlussfolgerung: Diese problematischen Bücher, Filme, Serie, Lieder könnten heute, in unserer sehr sensiblen und mimosigen Gesellschaft, nicht mehr entstehen.
Niemand hat vor, Harry Potter zu canceln.
Mal reicht es im Übrigen auch, dass sich einer der am Kunstwerk beteiligten Menschen irgendetwas zuschulden kommen ließ. Unter anderem Woody Allen, Roman Polanski, Kevin Spacey oder JK Rowling stehen deshalb unter Beschuss und einige Zeitgenossen meiden deren Werke. Bestimmt würden sie diese auch gern canceln. Spaß! Niemand hat vor, Harry Potter zu canceln.
Mich beschießt einstweilen niemand. Dabei habe ich mir aus Sicht einiger Menschen in meinen Büchern garantiert irgendwas Schlimmes zuschulden kommen lassen. Was auch immer? Mir fehlt da die Fantasie. Mal reicht es aus, wenn man etwas nicht tut, wenn man irgendwelche Gruppen nicht erwähnt oder so. Zum Glück bin ich nicht berühmt genug, meine literarischen Schandtaten dringen folglich nicht an die breite Öffentlichkeit.
Keine Ahnung, was passieren würde, wenn eine glühende Feministin oder ein versierter Rassismusforscher „Trittbrettmörder“ oder „Ihr letztes Stück“ lesen würden, um mal meine beiden populärsten Werke zu nennen. Vielleicht würden die beiden meine Bücher als schlecht gealtert und problematisch einstufen und davor warnen. Mir fehlt weiterhin die Fantasie für die Gründe. Ich bin jedoch weder glühende Feministin noch versierter Rassismusforscher.
Keines.
Schlussfolgerung: Wenn mich eines Tages jemand fragt, welche meiner Bücher schlecht gealtert sind, würde ich kackendreist behaupten: Keines. Hier findest du diese Bücher auf einen Blick.
Nachtrag vom 27. Mai 2025: Kürzlich durfte eine andere Vogue-Volontärin die Serie „Sex and the City“ anschauen und beurteilen. Da kam auch nichts bei rum – außer ein kleines bisschen mehr Spaltung der Gesellschaft. So überflüssig …
Nachtrag vom 3. November 2024: „Pretty Woman“ läuft jetzt als Musical in Oberhausen.
